5. Stuhlinkontinenz
Die Abschlußfunktion des Analkanals ist eine hohe Leistung an der mehrere funktionelle
Einheiten eng miteinander verflochten sind, um ein funktionierendes Kontinenzorgang
aufrecht erhalten zu können.
Das Kontinenzorgan bilden:
- Innerer und äußerer Schließmuskel
- Anus mit einer dehnbaren Analkanalhaut
- Beckenbodenmuskulatur (Levator und Puborektalis)
- Mastdarm (Rektum) und dessen Wahrnehmung
- Gefäßschwellkörper (Hämorrhoiden)
- Steuerung des Nervensystems über den Rückenmark
Sollte einer der Systeme und Mechanismen einen Schaden erleiden (z. B. Fistelspaltung,
Geburtstrauma, Unterleibsoperationen, Beckenbodensenkung, Rektum- und Mucosaprolaps,
oder durch Erkrankungen des Rückenmarks), was der Körper sonst nicht kompensieren und
ausgleichen kann, so resultiert sich daraus das Bild der anorektalen Inkontinenz (Stuhlin-
kontinenz).
Formen der Stuhlinkontinenz:
- Unkontrollierter Wind- und Stuhlabgang, ohne dass vorher Stuhlgang verspürt wird
(bei Störung des inneren Schließmuskels, oder der anorektalen Wahrnehmung)
- Starkes Stuhldranggefühl mit Unfähigkeit die Defäkation für eine adäquate Zeit zu unterdrücken und den Stuhl zurückzuhalten bei mangelnder Dehnbarkeit des Rektums,
oder bei Störung des äußeren Schließmuskels (Dranginkontinenz)
- Ungenügende Differenzierung zwischen Stuhl und Winden
- Nachschmieren (unvollständige Entleerung des Rektums, Rektocele)
- Stressinkontinenz (beim Laufen und körperlichen Anstrengung)
- Inkontinenz bei Obstipation und Rektumprolaps (inkontinente Obstipation)
- Überlauf-Inkontinenz (Ansammlung von großen Mengen Stuhl im Rektum und unter
dem Mastdarmbereich, der ständig auf den Schließmuskel Druck ausübt und dadurch
der Schließmuskel seinen Ruhetonus verliert. Er erweitert sich und ist nicht mehr in
der Lage sich zu kontrahieren.)
Je nachdem, ob die muskulären Strukturen oder nervalen Schäden als Ursache im Vorder-grund stehen, unterscheidet man eine muskuläre bzw. neurogene Kontinenzstörung.
Bei über 80% der Patienten mit einer Stuhlinkontinenz liegt mehr als eine Ursache bzw.
Funktionsstörung vor.
Ursachen und Risikogruppen:
Grundsätzliches:
Die Kontinenzkraft nimmt im Laufe des Lebens um 20 – 30% ab.
- Frauen sind häufiger betroffen: Schwächeres Kontinenzorgan, Belastung
durch Geburtenund vorausgegangene Dammrisse
- Chronische Obstipation: Jahrzehntelanges Pressen kann zu einer Zährungslähmung
derBeckenbodennerven führen.
- Beckenbodensenkung, Rektumprolaps
- Chronische Darmentzündung (M. Crohn, Colitis ulcerosa), insbesondere, wenn das Rektum befallen ist (Proktitis), sowie bei einer perianalen Abszeß- und Fistelmanifestation
- Reizdarmsyndrom (Colon irritabile), oder bei Neigung zu Durchfällen
- Diabetes mellitus
- Postoperativ: in Folge komplexer Fisteln und Abszesse, nach Hämorrhoiden-Operationen,
sowie nach Prostata- und Mastdarmoperationen
- Die häufigste Ursache einer Stuhlinkontinenz ist die idiopathische neurogene
Inkontinenz (gestörte Sphinkterfunktion, Beckenbodensenkung, sowie gestörte Sensorik)
Untersuchungen zur Abklärung der Inkontinenz:
Bevor therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden, müssen einige Untersuchungen zur
Inkontinenz-Abklärung vorgenommen werden. Dazu gehören Basisuntersuchungen (1-3)
und zusätzliche Sepzialuntersuchungen (4-8):
1. Genaue Anamneseerhebung: Stuhlgangsgewohnheiten, Stuhlbeschaffenheit,
vorausgegangene Operationen, begünstigende Medikamente. Ausmaß und Häufigkeit
der Inkontinenz-Episoden.
2. Proktologische Untersuchung (digital, Proktoskopie, Rektoskopie)
3. Anorektale Manometrie (Bestimmung der Schließmuskelkraft bei Ruhe und
willkürlichen Kontraktionen)
4. Bestimmung der Rektum-Compliance (Dehnbarkeit und Wahrnehmung)
5. EMG des äußeren Schließmuskels
6. Bestimmung der Funktion des N. pudendus (Latenzzeit)
7. Anorektale Endosonographie (um Defekte am Schließmuskelsystem darzustellen)
8. Kernspintomographie (MRT) des Beckenbodens
Therapie:
Die Behandlung der Stuhlinkontinenz verfolgt folgende Ziele:
- Verlangsamung der Stuhlpassage
- Verbesserung der rektalen Sensibilität
- Tonussteigerung der Schließmuskulatur
- Steigerung des Selbstvertrauens der Patienten
I. Konservative Therapiemöglichkeiten:
a) Es soll eine kausale Therapie der Stuhlinkontinenz (auch wenn nicht immer möglich) angestrebt werden, wie: diätetische Umstellung, stuhleindickende Maßnahmen und
Medikamente (z. B. indische Flohsamenschalen, Loperamid)
b) Zusammenkneifen des Schließmuskels täglich
c) Beckenbodengymnastik (kann zunächst unter Anleitung einer Krankengymnastin,
danach zu Hause, regelmäßig durchgeführt werden)
d) Biofeedback bzw. Elektrostimulation: spezielle Trainingsgeräte bei einer Externus-
schwäche, oder wenn ein sensorischer Defekt zu Grunde liegt. Die Behandlung erfolgt über mehrere Monate. Eine Kombination beider Methoden scheint die besten Ergeb-
nisse zu bringen. Die Erfolge – auch wenn sie manchmal schwer messbar erscheinen –
sind eindeutig vorhanden, und ganz besonders profitieren ältere Patienten von einer
solchen konservativen Therapie.
II. Chirurgische Therapie
a) Analsphinkternaht: Bei isolierten Defekt des äußeren Schließmuskels in Folge einer Fisteloperation oder nach Geburten.
b) Dynamische Gracilis-Plastik: Bei einem Schaden am inneren Schließmuskel, oder bei
Einer Zellstörung des Schließmuskels wird der M. Gracilis (Oberschenkelmuskel) ge-
fäß- und nervengestielt am Bein abgelöst, um den Analakanal herumgeschlungen und
wird dann am Sitzbein fixiert. Um eine Dauerkontraktion des Muskels zu gewähr-
leisten, wird der Nerv des Garcilis über einen Schrittmacher, der im Bereich der
Bauchdecke platziert wird, stimuliert.
c) Sakrale Neurostimulation: Bei neurogenen Sphinkterstörungen mit oder ohne Sphink-
terdefekten in den letzten Jahren eine Dauerstimulation der sakralen Nerven S 2-4
durch Implantation eines Schrittmachers durchgeführt. Dadurch kommt es zu einer
Erhöhung des analen Kontraktionsdrucks, z. T. auch des Ruhedrucks, und darüber
hinaus verbessert sich auch die anorektale Wahrnehmung.
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